Die Rockmacherinnen

Die Rockmacherinnen

Im oberbayerischen Schondorf am Ammersee entwirft und produziert die personifizierte Rockmacherin Caroline Lauenstein mit ihrer Tochter Luise alpine Mode vom Feinsten. Ein Atelierbesuch

Caroline Lauenstein fährt mit der Hand über die Röcke, Blusen und Kleider, die sich auf vier Quadratmetern drängen, dicht an dicht auf wenigen Garderobenstangen. Stoffe rascheln, Bügel klimpern, Seide knistert. „Schatzkammer“ nennt die Modemacherin den kleinen Raum mit den hohen Decken. Im hinteren Bereich ihres Ateliers hängen ihre neuesten Modelle und die frühen Entwürfe aus der Zeit, als ihr Beruf noch ein Hobby war. Seit acht Jahren entwirft sie Trachtenröcke, mit denen sie über die Landesgrenzen hinaus als „Rockmacherin“ bekannt geworden ist, auch jenseits der Branche. Ihre Mode verkauft sich auf Messen, in dörflichen Boutiquen und in den Onlineshops der großen Modehäuser. Wie es so weit gekommen ist, ist eine kleine Sensation. Ursprünglich kommt die 53-jährige Caroline Lauenstein aus Hamburg, war Maskenbildnerin am Theater, bekam drei Kinder, nähte bloß zum Spaß. „Wir brennen für unsere Sache“, sagt Caroline Lauenstein, blickt ihre Tochter an und lacht.

Luise Herrmann, 26 Jahre alt, dunkle Haare, schlank, blaue Augen, ist mittlerweile Geschäftspartnerin ihrer Mutter, steht an einem sommerlich heißen Tag im Juli in Leinenrock, T-Shirt und Sneakers im Laden neben Caroline Lauenstein und erinnert sich daran, wie alles begann. „Ich lernte damals noch fürs Abi, als Mama und ein paar Schneiderinnen bei uns am Esstisch saßen und Entwürfe durchgingen. Mit dem alpenländischen Lebensgefühl ist Luise aufgewachsen, seit ihre Mutter mit der Familie vor 22 Jahren in den Münchner Raum zog. Für Caroline Lauenstein war damals vieles neu. Auch die Begeisterung für Trachten, für Dirndl und die traditionellen Farben, Stoffe und Muster der Region. „Irgendwann dachte ich: Schade, du trägst deine Dirndl viel zu selten“, sagt Lauenstein heute. „Die Stücke waren für mich einfach nicht alltagstauglich. Und ehrlich gesagt: ziemlich unbequem.“

„Wenn eine Frau sich in ihrer Kleidung wohlfühlt, ist sie schön.“

Caroline Lauenstein

Irgendwann traf sie eine Frau beim Wandern, mit Trachtenrock, Wanderstiefeln und Strickjacke: bequem und alltagstauglich, Trachtenmode to go. „Genau so etwas suchte ich.“ Weil sie im Laden nichts Entsprechendes fand, besorgte sich Lauenstein ein paar Meter Dirndlstoffe – und nähte sich einen Rock, genauso, wie sie ihn wollte: auf den Leib geschneidert. Ein schlichter knielanger Rock mit breiter Passe in sanfter A-Linie. Ob mit Gummistiefeln im Garten, mit Pumps beim Sommerfest oder mit Sneakers zum Stadtbummel – ein Entwurf der „Rockmacherin“ passt zu jeder Gelegenheit. Daran hat sich seit damals nichts geändert.

Eine Magnetwand mit Farbkarten, Stoffmustern und Notizen illustriert den kreativen Prozess, der am Anfang jeder neue Kollektion steht. Auf einfachen Nähmaschinen fertigen Luise und ein Kollege erste Modelle, bevor in der Schneiderei produziert wird, die Caroline Lauen-stein beauftragte, als sie die ersten kommerziellen Kundinnen gewann. „Damals hatte ich so viele Röcke genäht, dass ich gar nicht alle tragen konnte.“ Lauenstein bewarb sich als Verkäuferin auf dem Textilmarkt Benediktbeuern, bestückte dort einen Stand mit etwa 30 Unikaten – und lernte ihre erste Kundin kennen: Eine Ladenbesitzerin aus dem Allgäu bat sie, eine Kollektion exklusiv für sie zu entwerfen. „Ich hatte damals keine Ahnung, wie man einen Entwurf zeichnet, an größere Mengen Stoff kommt, geschweige denn, das alles finanziert“, erzählt Lauenstein. „Das Schöne an der Branche ist aber, dass die Menschen sich gegenseitig helfen: Ein Stoffhändler empfahl mir, mit den Röcken auf die nächste Messe zu gehen.“ Vier Wochen später war es so weit.

„Wir wollen Tracht ganz neu erzählen.“

Luise Herrmann

Und ein Erfolg: Vor Ort lernte Lauenstein ihre zehn bis heute wichtigsten Kundinnen kennen. Wie die bayerische Schneiderei, die für die „Rockmacherin“ produziert, stammen auch die Materialien aus der Region: Stoffe und Loden kauft Lauenstein in Deutschland, Österreich und Italien, Wolle und Leinen aus Irland. Die Muster zeichnen sie und ihre Tochter selbst. Im Vergleich zu den Trendteilen der sogenannten Fast Fashion handelt es sich bei ihrer Mode um hochwertiges Handwerk. Dafür sind Kundinnen bereit, viel Geld zu bezahlen: 459 Euro kostet der klassische Trachtenrock. Das ist der Preis für „Mode made in Bayern“. So heißt der Verein, den Caroline Lauenstein initiierte, als sie kurz nach der Firmengründung schlaflose Nächte hatte. Weil sie dem Anspruch gerecht werden wollte, traditionelle Mode fair, nachhaltig und regional herzustellen. „Man riet mir, im Ausland zu produzieren. Das sei billiger“, erzählt Lauenstein. „Das konnte ich aber nicht mit meinen Grundsätzen vereinbaren.“ Sie ging das Risiko ein, ihre Strategie zahlte sich aus. In den Geschäften machten Verkäuferinnen die Erfahrung: Wenn eine Kundin weiß, dass ein Teil komplett in Bayern hergestellt wurde, ist sie bereit, den Preis zu zahlen. Inzwischen gehören sechs Marken zum Verein Mode made in Bayern e.V. An ihren Kleidungsstücken hängen Schildchen, die die komplette Fertigung in Bayern ausweisen. Ein Biosiegel für Trachtenmode sozusagen.

Doch bei der „Rockmacherin“ ist gerade einiges im Umbruch. „Nach einer ruhigeren Phase während der Coronapandemie haben Luise und ich uns zu Veränderungen entschlossen.“ Das Herzstück des Labels, der Trachtenrock, soll weiterhin in Bayern produziert werden. Um modische Teile günstiger zu produzieren und damit sozial fairer zu werden, wird sie demnächst eine GOTS-zertifizierte europäische Produktionsstätte ins Boot holen. „Nach sieben sehr erfolgreichen Anfangsjahren möchten wir nun langfristig zukunftsfähig werden“, sagt Caroline Lauenstein. „Wir sind ein Betrieb in Umstellung.“


Webseite und Onlineshop unter www.dierockmacherin.de


Stoffliche Beziehungen

Luise Herrmann (Bild 1) kombiniert den Trachtenrock modern. Im lichtdurchfluteten Atelier in Schondorf am Ammersee kreiert das Mutter-Tochter-Duo „Die Rockmacherin“ Trachtenmode, die edel und zugleich alltagstauglich ist – als „Mannszeug“ mit Hosen, Westen, Hemden und Co. auch für Männer. Die Hamburgerin Caroline Lauenstein (Bild 2) war von Kind an begeistert von Dirndln und trägt ihre Entwürfe auch privat – die bequeme Variante aus Rock, Spencer und Bluse.