Die Kunst des Dirndls – ein Gespräch mit Eva Kaesbauer vom Label EVAVIOLETTA über Handwerk, Haltung und zeitlose Schönheit.

Mitten in Haidhausen, dem kreativen Herzen Münchens, liegt das Atelier der Designerin Eva Kaesbauer. Zwischen Schneiderbüsten, Stoffballen und gedämpftem Tageslicht arbeitet die Schneidermeisterin an Kleidungsstücken, die weit mehr als nur Tracht sind. Unter dem Namen EVAVIOLETTA entstehen hier Dirndl, die mit Haltung gefertigt werden: handgemacht, maßgeschneidert und langlebig – und immer mit einem feinen Gespür dafür, was eine Trägerin wirklich ausmacht. Im Gespräch mit FESCH erzählt die Designerin von alten Techniken, ihrer Liebe zum Schneiderhandwerk und ihrer Überzeugung, dass gute Mode nicht laut sein muss, um zu wirken.
Frau Kaesbauer, wie würden sie ihre Arbeit beschreiben?
EVAVIOLETTA steht für handgefertigte Mode mit Liebe zum Detail und Respekt vor der Tradition. Jedes Stück wird in meinem Atelier in München von Hand gefertigt – aus hochwertigen Naturmaterialien und ohne Reißverschlüsse, Plastikknöpfe oder Klebeeinsätze. Ich lege großen Wert auf persönliche Beratung und Maßanfertigungen, die perfekt sitzen und die Persönlichkeit der Trägerin unterstreichen.
„Ich arbeite nicht auf Vorrat – das ist Handwerk, kein Fließband.“
Wie kam es zur Gründung ihres eigenen Labels?
Schon während meiner Schulzeit wusste ich, dass ich in die Modebranche möchte. Nach dem Abitur habe ich mir die Universität der Künste Berlin angesehen, an der damals die britische Modedesignerin Vivienne Westwood lehrte. Doch die Arbeiten der Studierenden dort konnten mich nicht überzeugen – ich wollte nicht nur entwerfen, sondern auch das Handwerk wirklich verstehen und erlernen. Also begann ich eine klassische Ausbildung zur Damen- und Kostümschneiderin in einem Kostümverleih in Schwabing. Nach zwei Gesellenjahren in der Schneiderei absolvierte ich bei Müller & Sohn die Ausbildung zur Schnittdirectrice und legte dort auch die Meisterprüfung ab. Der nächste logische Schritt war für mich die Selbstständigkeit – mit dem Ziel, Mode zu gestalten, die das Traditionelle mit dem Zeitgenössischen verbindet.
War das Dirndl von Anfang an ihr Thema?
Das Dirndl war eigentlich immer präsent, auch wenn ich ebenso klassische Kaschmirmäntel oder Chanel-inspirierte Tweedjacken anfertige. So entstehen ganz selbstverständlich zeitgemäße, lässige Crossover-Kombinationen. Ich komme aus einer ländlichen Gegend, in der es Tradition war, dass Frauen ihre Dirndl selbst nähten – meine Mutter, meine Tanten, meine Großmutter. Nach meiner Ausbildung habe ich mich gezielt weitergebildet, um die Techniken des Dirndlschneiderns zu perfektionieren. Bei einer alten Schneiderin in Bad Kohlgrub im oberbayerischen Voralpenland durfte ich Methoden erlernen, die heute fast vergessen sind. Das Dirndl fordert mich heraus und bietet gleichzeitig enormen Spielraum für handwerkliche Präzision und kreative Interpretation.
„Das klingt alles irre altmodisch, aber es funktioniert fantastisch.“
Was macht ein Dirndl von EVAVIOLETTA so besonders?
Es sind die Details und der Anspruch, keine Kompromisse zu machen. Ich arbeite ohne Reißverschlüsse und verwende ausschließlich natürliche Materialien wie Leinen, Wolle oder Seide. Anstelle von Klebeinlagen zum Aufbügeln verwende ich Rosshaar, Seidenorganza und formgeschnittene Strukturen, wie sie früher üblich waren. Das sorgt für Leichtigkeit, Stand und eine tolle Silhouette. Meine Dirndl wachsen mit: mit der Figur, mit der Trägerin, mit der Zeit. Sie sind fürs Leben gemacht, nicht für eine Saison.
Wie schaffen sie es, Tradition und Zeitgeist zu verbinden?
Ich lasse mich von historischen Vorlagen inspirieren, mein Ziel sind jedoch tragbare Kleidungsstücke und keine altertümlichen Kostüme. Um das zu erreichen, habe ich viele alte Fachbücher studiert, Schnitttechniken analysiert und viel ausprobiert. Ich bin überzeugt: Ein Kleid sitzt besser, wenn es mit Sorgfalt und handwerklicher Präzision gefertigt wurde. Man sieht es sofort, wenn etwas nicht stimmt, beispielsweise wenn die Taille zu tief sitzt oder der Rock nicht richtig fällt. Ich bin da sehr genau. Wenn etwas nicht passt, wird es geändert. Kompromisse mache ich da keine.
Was mich am Dirndl – und generell an traditioneller Kleidung – so fasziniert, ist genau dieser scheinbare Widerspruch: Etwas, das eigentlich nicht modern ist, spricht so viele Menschen an. Ich glaube, ein Teil dieses Zaubers liegt im Handwerk, vielleicht sogar im Kunsthandwerk. Hohe Schneiderkunst ist eines der letzten Felder, auf denen erfahrene, geschulte Hände unersetzlich sind. Sie verleihen einem Kleidungsstück etwas, das keine Maschine je nachahmen kann – wie Christian Dior es so schön formuliert hat: „Human hands… endow everything they create with qualities that a machine could never give them: poetry and life.“ („Menschliche Hände … verleihen allem, was sie erschaffen, Qualitäten, die eine Maschine ihnen niemals geben könnte: Poesie und Leben.“)
„Ein Dirndl ist kein Kostüm – es ist ein schönes Kleidungsstück mit Tradition.“
Was verstehen sie unter einem modernen Dirndl?
Es muss authentisch sein. Viele Frauen kommen zu mir, weil sie sich in der heutigen Dirndlwelt nicht mehr zurechtfinden. Was ist echt, was Show? Ich sage ihnen: Bleib dir treu! Wenn du Navyblau liebst, dann trage es. Nur weil Apricot gerade „in“ ist, musst du dich nicht verbiegen. Mein Ziel ist, dass sich jede Frau in ihrem Dirndl wiederfindet – sich nicht verkleidet, sondern gestärkt fühlt.
Gibt es wiederkehrende Elemente in ihren Entwürfen?
Ja – zum Beispiel Biedermeier-Blusen mit weiten Ärmeln oder klassische Schnürmieder. Es sind schlichte Schnitte mit starker Wirkung. Inspiration finde ich oft in historischen Bildern und Gemälden – etwa bei den Damen der Schönheitengalerie von König Ludwig I. in Schloss Nymphenburg. Diese Elemente fließen in meine Entwürfe ein, ohne dass ich sie eins zu eins übernehme. Sie sollen modern wirken – und dennoch die Tradition spürbar bewahren.
„Ich glaube daran, dass ein Kleid besser sitzt, wenn es mit Bedacht gemacht ist.“
Woher kommen ihre Stoffe?
Ich beziehe meine Materialien von kleinen, spezialisierten Händlern, von denen viele aus Österreich, Italien oder Südfrankreich stammen. Leider verschwinden solche Quel-len zunehmend, da es oft keine Nachfolgegeneration mehr gibt. Wo immer es möglich ist, versuche ich, regional zu arbeiten. Dabei sind für mich drei Dinge entscheidend: Qualität, Langlebigkeit und Authentizität.
Wie leben sie Nachhaltigkeit in ihrer Arbeit?
Für mich war Nachhaltigkeit nie ein Trend, sondern immer selbstverständlich. Ich arbeite ausschließlich mit Naturfasern und verzichte auf synthetische Materialien. Ich denke in Generationen: Ein gutes Dirndl wird gepflegt, repariert und weitergegeben. Viele Kun-dinnen tragen ihr Dirndl zur Hochzeit, später zur Taufe und vielleicht später einmal ihre Tochter. Das ist für mich der schönste Gedanke.
„Ich will keine Kompromisse machen – weder beim Sitz noch bei der Verarbeitung.“
Wie lange dauert es, ein Dirndl zu fertigen?
Etwa drei Monate, wenn alles entspannt läuft. Ich arbeite ausschließlich auf Bestellung und produziere nicht auf Vorrat. Die Anproben sind oft Monate im Voraus geplant, beispielsweise zu Wiesn-Terminen, Hochzeiten oder anderen Anlässen. Manchmal schaffe ich zwei oder drei Stücke im Monat, aber dafür mit ganzem Herzen.
Was suchen ihre Kundinnen bei ihnen?
Die einen sagen: „Ich habe schon zehn Dirndl im Schrank, aber jetzt will ich endlich eines, das wirklich passt.“ Andere sagen: „Ich trage eigentlich nie Dirndl, aber Ihres könnte ich mir vorstellen.“ Das freut mich besonders. Die Frauen kommen nicht für ein Kostüm, sondern für ein Kleid, das ihnen gerecht wird. Oft sagen sie nach der Anprobe: „So gut hat sich noch keines angefühlt.“ Das ist das größte Kompliment für mich.
„Ein gutes Dirndl macht was mit dir – du merkst es sofort.“
Und wie gehen sie mit Trends um?
Gar nicht. Ich bin kein Fan von Saisonmoden. Ich arbeite nach Gefühl: Wenn ich morgen ausschließlich Dirndl mit Ärmeln entwerfen möchte, dann mache ich das. Ich glaube, wir brauchen heute wieder mehr Individualität, weniger Gleichförmigkeit und vor allem mehr Persönlichkeit in der Mode. Eines meiner Lieblingszitate von Karl Lagerfeld bringt es auf den Punkt: „Trendy is the last stage before tacky.“ („Trendy zu sein, ist das letzte Stadium, bevor es geschmacklos wird.“)
Was bedeutet Mode für sie persönlich?
Mode ist Ausdruck. Sie soll dich nicht verbiegen, sondern zeigen, wer du bist. Wenn man sich in seiner Kleidung wohlfühlt, strahlt man das aus. Genau das sollen meine Dirndl ermöglichen: sich schön zu fühlen und das zu tragen, was einem gefällt.
Was wünschen sie sich für ihre Zukunft?
Ich möchte gerne so weitermachen: klein, nah an den Menschen und mit viel Handarbeit. Keine Massenproduktion, kein Bürojob. Ich möchte anprobieren, beraten und mit Stoffen arbeiten. Vielleicht eine Zusammenarbeit mit einem Museum, denn ich liebe Kunstgeschichte. Und ich bin mir sicher: Das schönste Kleid habe ich noch nicht genäht – es kommt noch!
EVAVIOLETTA
Atelier für Maßanfertigung
& Meisterwerkstatt
Sedanstraße 17
81667 München
© Fotos: EVAVIOLETTA/Sandra Eckhardt

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

Eva Violetta Dirndl

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Eva Violetta Dirndl
