Michaela Keune – Die Weltenmischerin

Michaela Keune Trachten Couture Porträt

Adelige, Promis und junge Rapperinnen, alle besuchen ihren Showroom: In einem verschlafenen Häuschen am Rande von München entwirft Michaela Keune die Haute Couture der Trachten. Warum die Designerin auf Zweiteiler setzt – und dafür nicht mal Werbung braucht

Eine Schürze von Michaela Keune ist eine Farbexplosion, die einzelnen Nuancen sind sorgfältig aneinandergenäht. Eine Borte stammt aus Österreich, ein Stück indischer Sari mischt sich darunter, selbstgefärbtes Leinen schmiegt sich mit rauer Wange an die verblichene Webkante eines handgewebten Tuchs von 1880, daneben Baumwollpopeline aus den 1950er-Jahren. Keune entwirft und schneidert Abendkleider, Trachten und Brautkleider unter dem Label „Michaela Keune München“ in ihrem Atelier in Pullach bei München, wo sie auch lebt.

„In meinen Trachten spiegeln sich internationale Einflüsse. Weil ich Handwerkskunst und das Besondere aus der ganzen Welt ein bisschen mische“, sagt Keune. Die Diplomatentochter und Absolventin der Modeschule Esmod verwebt Stoffe, Muster und Figuren aus vielen Kulturen und Epochen zu flächigen textilen Kunstwerken. Ihr Markenzeichen: eine zweiteilige Damentracht aus Mieder und Rock. Dass man sie tragen kann, ist fast schon nebensächlich, so komplex ist das Design, so filigran die Zierstiche, so eigenwillig muten der Stil und die Farbkombinationen an. Auf der Esmod, erzählt die Designerin am Küchentisch bei Kaffee und Kerzenlicht an einem trüben Januarmorgen, sei sie falsch gewesen. „Ich hätte auf die Meisterschule gehen sollen.“ Auf der seit 2016 geschlossenen Modeschule orientierten sich die Lehrenden an der Stilikone Jean Paul Gaultier, Michaela Keune liebt Vivienne Westwood. Statt langer dünner Gliedmaßen zeichnet sie Modelle mit üppigen weiblichen Formen. Auch für ihre Entwürfe wählt sie neue Pfade: „Ich wollte etwas Neues kreieren, nicht etwas kopieren, das es schon gibt.“

Michaela Keune Trachten Couture Porträt
Michaela Keune

Trotzdem lernt sie während ihrer Ausbildung die Grundlagen für ihren Beruf. Ohne vorherige Schneiderlehre hat sie es an der Esmod nicht leicht, lernt das Nähen an behäbigen Industriemaschinen. „Es ist immer noch nicht meine Stärke. Aber bis heute“, sagt die 54-Jährige und hebt dabei einen federleichten, weitschwingenden Rock aus Seidentaft in die Höhe, „mache ich alle Schnitte selbst.“ Die typische Handreihung an der Rückseite ihrer Röcke, eine großzügige Stoffraffung, die einem nur in den Sinn kommt, wenn man selbst genäht hat, ebenso die unzähligen Zierstiche, die Stoffe mehr veredeln als zusammenhalten: Das sind Details, an die eine reine Designerin nicht unbedingt denkt. Gerade in der Tracht kommt es auf solche handwerklichen Details aber an. „Deshalb verstehe ich das Konzept Dirndl von der Stange nicht.” In der Tracht, glaubt die gebürtige Bonnerin, die seit ihrem Studium in München lebt, suchten Männer wie Frauen doch das handgefertigte Unikat. „Meine Kundinnen leiden schon, wenn eine andere Frau das gleiche Abendkleid trägt.“ Ein identisches Dirndl an einer anderen Frau, das sei für viele ihrer Kundinnen eine Katastrophe. Gut, dass sie nur Einzelstücke anfertigt – für Damen wie für Herren. Für die männlichen Kunden hat sie eine Hose aus Hirschleder mit Reliefstickerei im Angebot und Westen, wahlweise mit handbemalten Porzellanknöpfen, doppelreihige Modelle mit Kragen, etwa aus Loden, handgewebten Wollstoffen oder Leinen.

Nach dem Studium arbeitet Michaela Keune ein paar Jahre beim Fernsehen. Sie stattet Moderatoren wie Rainhard Fendrich aus und entwirft Kostüme, zum Beispiel für die Serie „Der Bulle von Tölz“. Weil sie selbst gern Kleider trägt, die sie nicht im Laden findet, kommt sie überhaupt erst auf die Idee, Trachten zu entwerfen. Ihr erstes Dirndl leiht sie sich mit 18 Jahren für eine Feier in Salzburg. Sie ist begeistert von Schnitt und Design. Doch als sie Jahre später die Wiesn in München besuchen will, findet sie in den Kaufhäusern der Stadt „nur Leinensäcke – und so sah ich darin auch aus.“ Keune entwirft sich kurzerhand ein Mieder aus schwarzem Samt. Es lässt sich zum engen Rock kombinieren, mit langem Rock wird eine Robe daraus und mit Schürze eine klassische Tracht. „Ich war perfekt angezogen. Und habe es geliebt“, sagt sie. Beim zweiteiligen Modell ist sie bis heute geblieben. Die Fertigung ist freilich kompliziert. Jedes Kostüm von Michaela Keune ist ein Unikat. 6000 bis 8000 Euro kostet eine Kombination aus Rock, Mieder und Schürze, dazu gibt es Taschen und Schals sowie passende Hüte von der Hutmacherin Carolin Pomränke. Unter ihren Kundinnen sind viele adelige Frauen, Schauspielerinnen wie Anja Kruse oder Christine Neubauer. Auch junge Frauen kaufen bei ihr, um sich ihr erstes Designer-stück zu leisten, eine Dirndlbluse etwa gibt es ab 220 Euro. Nicht viel teurer als von der Stange, dafür maßgefertigt.

Michaela Keune Trachten Couture Porträt

„Gute Mieder gibt es nicht im Laden“, sagt Michaela Keune, „sie müssen auf die Figur der Kundin modelliert werden, um perfekt zu sitzen.“ In großen Mengen lassen sie sich nicht produzieren. Deshalb liefert sie nicht mehr an Boutiquen, wie sie es eine Zeit lang versuchte. Doch die Shops behielten oft Einzelstücke zurück oder bestellten gleich eine so enge Auswahl, dass der Umsatz überschaubar blieb. „Davon konnte ich kaum existieren. Ich war kurz davor, mich von der zweiteiligen Kombination zu verabschieden.“ Ein gewichtigerer Grund, doch lieber klassische Dirndl aus einem Stück zu nähen, kommt für die Designerin hinzu. Zweiteilige Trachten mit Rock und Spencer entsprechen der deutschen Tradition – und waren in den 1920er- und 30er-Jahren besonders beliebt. „Ich wusste das nicht, als ich anfing, Trachten zu entwerfen“, sagt Keune. Heute kennt sie sich sehr gut aus mit der Mode der 1930er, studierte internationale Nachschlagewerke, informierte sich auch mal in zensierten Broschüren, die ihr das Trachteninformationszentrum zur Verfügung stellte. „Ich bleibe dabei: Schnitt und Funktionalität der Zweiteiler sind toll“, sagt sie. Aber Ästhetik ohne Gewissen geht nicht. Michaela Keune weiß, dass die Nationalsozialisten Mode und Tradition missbrauchten, um krude Botschaften zu transportieren.

Trotzdem entscheidet sie sich dafür, die Kombi aus Mieder und Rock zu behalten. Ihre Dirndl Couture, wie sie es nennt, fertigt sie nur noch auf Anfrage nach Maß und präsentiert sie in der ehemaligen Bauernstube ihres Hauses aus dem 17. Jahrhundert – „das älteste Haus von Pullach“, sagt sie und zeigt die Holzdielen, die original barocken Türstöcke und eine winzige Luftblase, die für die Nachwelt im Jugendstil-Fensterglas eingeschlossen ist. „Ich finde es wichtig, dass dieser Raum für die Öffentlichkeit zugänglich ist, deshalb habe ich meinen Showroom hier eingerichtet und verzichte auf einen Laden.“ Als Umkleide dient ein Durchgangszimmer mit Vintagesofa und Harfe, in den oberen Räumen wohnt sie mit ihrer 14-jährigen Tochter. So kann sie von ihrer Mode leben. Als Unternehmerin folgt sie einem eigenwilligen Grundsatz: „Mir muss der Wurm schmecken, nicht dem Fisch.“ Der Marketing-Grundsatz geht bekanntlich anders: Demnach muss der Fisch den Köder gern schlucken. Sie aber will das tun, was sich für sie selbst richtig anfühlt. „Ich muss glücklich sein und das Gefühl haben, etwas Schönes geschaffen zu haben.“

ZWIEGESPALTEN // Das Markenzeichen von Michaela Keune ist die Kombination von Mieder und Rock. Die Anfertigung ist kompliziert, Keune entwirft alle Schnitte selbst. Unzählige Kombinationen von Farben, Stoffen und Accessoires sind möglich.
ZWIEGESPALTEN // Das Markenzeichen von Michaela Keune ist die Kombination von Mieder und Rock. Die Anfertigung ist kompliziert, Keune entwirft alle Schnitte selbst. Unzählige Kombinationen von Farben, Stoffen und Accessoires sind möglich.
Michaela Keune Porträt

Und so ist es schon fast zu einer Mission geworden, den Zweiteiler zu erhalten für die Frauen von heute, für die Mode auch funktional und tragbar sein muss. Den Rock ohne Schürze im Sommer zum T-Shirt und ab in den Biergarten, mit Mieder und Jeans auf die Party – so macht Trachtenmode vielen Frauen Spaß. Tracht für das 21. Jahrhundert, so beschrieb einmal eine Zeitung ihre Mode. Für unsere Zeit ist es vielleicht charakteristisch, dass sich viele Einflüsse aus verschiedenen Zeiten mischen. Michaela Keune bedient sich unterschiedlicher historischer Vorbilder und schafft so etwas Neues: Die Silhouette ihrer weitschwingenden Röcke aus extra viel Stoff lehnt sich an den Cul de Paris an, den Hintern von Paris. So heißt das stark betonte Rückteil der Damenröcke, das im 18. und späten 19. Jahrhundert in Mode war. Auch damals trugen die Frauen Rock mit Mieder und Spencer, wie Keune in einem ihrer opulenten Modebildbände zeigt. Damals war es üblich, dass Damen der oberen Gesellschaftsschichten ebenso Schürzen trugen wie Dienstmädchen, zum Beispiel das Wiener Schokoladenmädchen, das auf dem berühmten Gemälde von 1744 zu sehen ist. „Nur war die Schürze bei feinen Damen kürzer als der Rock, weil sie zur Zierde diente. Dienstmädchen schützten mit bodenlangen Schürzen ihr Kleid“, erkärt die Modeschöpferin. Ihre Begeisterung für Modegeschichte merkt man der einstigen Kostümbildnerin an. Die Freude an der Inszenierung brachte sie vor Kurzem dazu, die Tik-Tok-Tänzerinnen @hiphophitsbavaria auszustatten. Junge Frauen tanzen in weißen Sneakers zu rhythmischem Sprechgesang vor einer Berghütte – gekleidet in „Michaela Keune München“. „Andere machen das in Jogginghosen“, sagt Keune und erklärt, warum sie die Extrameile geht: „Ich möchte das Klassische mit dem Modernen verbinden, ohne die Tradition zu verbiegen.“

FÜLLHORN DER MÖGLICHKEITEN Trachten für Herren und Damen und Kinder, Westen, Jacken, Spencer, Blusen – aus rein tierischen oder pflanzlichen Fasern wie Wolle, Seide oder Leinen stehen im Showroom zur Auswahl.
FÜLLHORN DER MÖGLICHKEITEN // Trachten für Herren und Damen und Kinder, Westen, Jacken, Spencer, Blusen – aus rein tierischen oder pflanzlichen Fasern wie Wolle, Seide oder Leinen stehen im Showroom zur Auswahl.
Michaela Keune Porträt

Ihren Kundinnen gefällt, was sie tut. Und empfehlen sie doch selten weiter – damit ihre Outfits ein Geheimtipp bleiben, zum Markenzeichen der Trägerin werden, nicht der Designerin. Die Moderatorin Marianne Hartl etwa, bekannt durch als Teil des Duos „Marianne und Michael“, hatte sich etliche Ensembles von Michaela Keune anfertigen lassen. Die Schauspielerin Michaela May wurde neugierig und wollte wissen, wo Hartl ihre Trachten kaufe. „Die Marianne rückte nicht mit der Sprache raus”, erzählt Keune und lacht. „Erst als Michaela May an meinem Schaukasten in der Eilles Passage vorbeikam und meinen Namen las, wusste sie, wo sie hinmuss.“ Große Werbung braucht Michaela Keune ohnehin nicht. Einmal im Monat bestückt sie das Schaufenster in der Passage neu, dazu gibt es die Website und eine Handynummer. Das genügt. „Denn“, so sagt sie, „das, was ich mache, trägt eine so starke Handschrift, dass man meine Entwürfe überall erkennt, wenn man einmal einen gesehen hat.“

NACH STICH UND FADEN Das Nähen hat Keune auf der Modeschule gelernt, die Ideen entstehen vor dem inneren Auge.
NACH STICH UND FADEN // Das Nähen hat Keune auf der Modeschule gelernt, die Ideen entstehen vor dem inneren Auge.
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