Wenn Dirndl auf Waxprint treffen: Wie aus einem Zufallsprojekt ein Modelabel mit kultureller Mission entstand.

Seit mehr als einem Jahrzehnt verkörpert das Label NOH NEE einen einzigartigen Stil: traditionelle bayerische Dirndl, neu interpretiert mit westafrikanischen Stoffen. Dahinter stehen die Schwestern Rahmée Wetterich und Marie Darouiche, die es verstehen, Mode mit kulturellem Dialog, handwerklicher Tradition und sozialem Engagement zu verbinden. Im Interview spricht Rahmée über die Entstehungsgeschichte von NOH NEE, die Kraft von Kleidung, die Bedeutung von Herkunft und ihr Herzensprojekt „The Project Justine“.
Wie ist NOH NEE entstanden?
Alles begann eher zufällig. Im Jahr 2010 organisierte ich ein Interior-Event zum Thema „The Color-Mix of Africa“. Meine Schwester Marie, gelernte Schneiderin, fertigte dafür Dirndl aus afrikanischem Waxprint – ursprünglich nur als dekorativer Hingucker gedacht. Aber das Münchner Publikum war sofort begeistert von den Dirndln. Wir merkten schnell: Hier haben wir einen Nerv getroffen! Und mir wurde zum ersten Mal bewusst, welche Kraft in diesem Kleidungsstück steckt. Die Resonanz war so groß, dass wir einfach weitergemacht haben. So ist das Label mit der Zeit gewachsen.
Was bedeutet der Name NOH NEE?
Der Name kommt aus dem Suaheli und bedeutet „Geschenk Gottes“. Marie ist sehr gläubig und wünschte sich einen Namen mit tiefer Bedeutung, und als ich ihr NOH NEE vorschlug, war sie sofort überzeugt: Das ist der richtige Name! Und ehrlich gesagt: Manchmal fühlt es sich tatsächlich wie ein Geschenk an, was wir mit NOH NEE erleben dürfen.
„Für die Frauen dieser Welt – NOH NEE denkt das Dirndl neu.“
Inwiefern ist NOH NEE für euch mehr als Mode – geht es auch um kulturellen Dialog?
Ich bin in einem multikulturellen Umfeld aufgewachsen – mit kurdischen, kamerunischen und bayerischen Einflüssen. Mode ist für uns mehr als nur Äußerlichkeit – sie ist Ausdruck von Identität und Gefühl. Es geht nicht darum, wie etwas aussieht, sondern wie es sich anfühlt. Und genau dieses Gefühl wollen wir mit unseren Dirndln vermitteln. Kleidung erzählt Geschichten, und das ist in der afrikanischen Kultur tief verwurzelt. Bei NOH NEE geht es nicht nur um das Kleidungsstück an sich, sondern um die Verbindung zwischen den Kulturen, um Haltung und Selbstbewusstsein.
Welche Rolle spielen westafrikanische Stoffe in eurer Kollektion?
Waxprint war unser Einstieg – ein Stück Kindheit. Unsere Mutter trug diese Stoffe, sie gehörten zu unserem Alltag. Erst später erfuhren wir von ihrer kolonialen Geschichte und dass viele dieser Stoffe heute in Europa produziert werden. Das brachte uns zum Nachdenken: Wo liegen unsere Wurzeln? Was gehört wirklich zu uns? Was wollen wir zurückholen? Heute lassen wir unsere Stoffe in Afrika weben – traditionell, handwerklich und mit Seele. Das ist für uns nicht nur Design, sondern Identitätsfindung.
Wie reagiert die Modewelt auf eure Dirndl?
Die Resonanz auf das „Dirndl à l’Africaine“ ist bis heute überwältigend. Unsere Dirndl werden in Museen ausgestellt, 2017 erhielten wir den „Bayerischen Innovationspreis Volkskultur“ – als Anerkennung für unseren kulturellen Brückenschlag. Ein starkes Zeichen für uns: Mode kann mehr als nur schön sein – sie kann verbinden.
Woran erkennt man ein NOH NEE Dirndl?
Kein Chi-Chi, kein Materialmix. Klare Linien, starke Farben – und der Stoff steht im Mittelpunkt. Marie sieht in jedem Muster eine neue Geschichte und verwandelt den Stoff in ein tragbares Kunstwerk.
Wie entsteht ein NOH NEE Dirndl?
Am Anfang steht immer der Stoff. Wir arbeiten zwar mit festen Schnitten, aber das Design richtet sich immer nach dem Stoffmuster – und nicht umgekehrt. Jedes Dirndl ist ein Unikat. Ist ein Stoff aufgebraucht, wird das Modell nicht mehr produziert. Deshalb ist der Stoffeinkauf schon fast eine Kunst für sich – das Potenzial muss für uns sofort erkennbar sein. Seit 2011 nähen wir Dirndl – und trotzdem wird es nie langweilig. Dirndl haben etwas Zeitloses, fast Magisches.
Wer trägt eure Dirndl – gibt es eine typische Kundin?
Nein – und genau das macht es so besonders. Unsere Kundinnen sind so vielfältig wie unsere Designs: Bäuerinnen, Touristinnen, Künstlerinnen, Businessfrauen. Viele sagen: „Ein klassisches Dirndl steht mir vielleicht, aber ich fühle mich darin nicht wie ich selbst.“ Unsere Dirndl geben ihnen etwas anderes – ein Gefühl von Stärke, Identität und Ausdruck.
„Nachhaltigkeit heißt für uns: Den Menschen sehen!“
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für euch?
Nachhaltigkeit bedeutet für uns mehr als Bio-Baumwolle. Es geht um Fairness, Transparenz und vor allem um die Menschen, die hinter dem Produkt stehen. Deshalb haben wir den Verein The Project Justine in Benin gegründet – ein Herzensprojekt, das soziale Verantwortung, lokale Wertschöpfung und nachhaltiges Handwerk verbindet.
Was genau ist The Project Justine?
Schon früh war die Nachfrage nach unseren Dirndln groß – sogar ein riesiger amerikanischer Textilkonzern klopfte an. Doch um diesen Markt bedienen zu können, hätten wir billig in Asien produzieren müssen. Für uns war klar: Das widerspricht allem, wofür wir stehen. Es wäre ein Verrat gewesen – an der Kultur, am Handwerk, an unseren Werten. Stattdessen haben wir neu gedacht: Warum nicht in Afrika produzieren? Dort, wo die Stoffe ihre Wurzeln haben, wo unsere Wurzeln liegen – und wo die Menschen eine echte Perspektive brauchen. So entstand The Project Justine: als Antwort auf die Frage, wie faire Mode wirklich aussehen kann – mit Respekt, Responsibilität und einem starken sozialen Fundament.
In welchem Zusammenhang steht euer Label mit eurem sozialen Engagement in Afrika?
Soziales Engagement ist ein zentraler Bestandteil unserer Marke. Die Vision von The Project Justine ist es Menschen nicht nur auszubilden, sondern sie langfristig zu begleiten – auf dem Weg in ein selbstbestimmtes und wirtschaftlich stabiles Leben. Was in Benin begann, wächst inzwischen auch im Senegal und in Ghana. Wir bauen Strukturen auf, die über die reine Produktion hinausgehen: Ausbildungszentren und moderne Werkstätten mit Kinderbetreuung, Kantinen und medizinischer Versorgung. So entstehen ganze Communities – echte Dörfer im besten Sinne. Diese Orte geben den Menschen Halt, Sicherheit und Würde – und zeigen, was möglich ist, wenn soziale Verantwortung und unternehmerisches Handeln Hand in Hand gehen.
„Mit NOH NEE und The Project Justine verbinden wir Afrika mit Bayern.“
Gab es einen Moment in eurer Unternehmensgeschichte, der euch besonders bewegt hat?
Ja, ganz klar: Als wir 2017 mit dem „Bayerischen Innovationspreis Volkskultur“ ausgezeichnet wurden. In einem festlichen bayerischen Saal zu stehen, umgeben von Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern, die einstimmig sagten: „Dieses afrikanisch inspirierte Dirndl gehört zu unserer Kultur“ – das war ein Gänsehautmoment. Gerade in Bayern, wo Tradition und kulturelle Identität tief verwurzelt sind, als afro-bayerisches Label anerkannt und geehrt zu werden, war unglaublich berührend. Wir haben uns nie ausgeschlossen gefühlt, im Gegenteil – wir wurden eingeladen, teilzuhaben. Diese Auszeichnung war mehr als ein Preis, es war ein Zeichen echter Wertschätzung und kultureller Zugehörigkeit. Und sie hat uns den Mut gemacht, unseren Weg weiter zu gehen.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Unser Ziel ist es, echte Kreisläufe zu schaffen – vom handgewebten Stoff bis zum fertigen Dirndl, komplett „Made in Africa“. Wir arbeiten daran, eine afrikanische NOH NEE-Tochter zu gründen und planen Kooperationen mit lokalen Designerinnen und Designern. Denn in Afrikas Metropolen wächst eine neue, selbstbewusste Mittelschicht heran, die Wert auf Qualität, Authentizität und Identität legt – und wir wollen Teil dieser Bewegung sein. Was als Experiment begann, ist längst zu einer kulturellen Mission geworden. Und wir stehen erst am Anfang.
NOH NEE
Görresstraße 16
80798 München
www.nohnee.com
© Fotos: NOH NEE/Felix Brandl
The Project Justine
theprojectjustine.org
© Fotos: NOH NEE / Attila Henning